07.05.2024:
An die Vorsitzenden der Parlamentsparteien
Vor 50 Jahren wurde im Nationalrat das Zivildienstgesetz beschlossen. Seitdem hat sich der Zivildienst stark verändert und weiterentwickelt. Politisch wurde oft versucht, diese Entwicklung als „Erfolgsgeschichte“ zu verkaufen – der Zivildienst sei heute der „Headhunter im Sozialbereich“, Zivildiener „unverzichtbar“ für das System. In dieser Geschichte ausgelassen wurden die unzähligen Missstände, die sich im Laufe der Zeit gebildet haben. Die Realität ist: Der Zivildienst ist eine ungerechte, strukturell veraltete Konstruktion, die dringend reformbedürftig ist. Als Zivildiener sind wir nicht mehr bereit, diesen Zustand hinzunehmen. Daher wenden wir uns heute direkt an Sie.
Der Arbeitsalltag von uns Zivildienern unterscheidet sich je nach Einsatzstelle stark. Ja, manche Einrichtungen bieten viele Erfahrungen und abwechslungsreiche Einsatzgebiete. Aber andere geben uns nichts zu tun und lassen uns neun Monate lang Zeit absitzen. Wieder andere zwingen uns zu würdelosen Tätigkeiten und behandeln uns wie Menschen zweiter Klasse. Und viel zu viele überanstrengen uns jeden Tag körperlich und konfrontieren uns völlig unvorbereitet mit Extremsituationen. Das System, das all das zulässt und als gleichwertig ansieht, ist absurd.
Eine weitere Verschlechterung unseres Arbeitsalltags wurde durch die in den letzten Jahren gesetzten politischen Schritte ermöglicht. Mit Maßnahmen wie der Einführung der Teiltauglichkeit oder der geplanten Abschaffung der Arbeitsmarktneutralität wird der Druck auf alle Zivildiener und unsere „regulären“ Kolleg:innen erhöht. In vielen Bereichen, in denen Zivildiener eingesetzt sind, herrscht ein steigender Fachkräftemangel. Statt ihm mit politischen Maßnahmen zur Verbesserung der miserablen Arbeitsbedingungen entgegenzuwirken, soll er durch immer mehr Zivildiener ausgeglichen werden. Der Vorteil: Wir kosten weniger und können uns, solange wir zivildienstpflichtig sind, nicht wehren. Um nichts anderes geht es, wenn öffentlich darüber diskutiert wird, wie der „steigende Bedarf“ in Einrichtungen gedeckt werden kann. Wie kommen wir eigentlich dazu, die politischen Verfehlungen der letzten Regierungen auszubaden? Wieso stellt niemand den Anspruch, die Fehler im System zu bekämpfen?
Im Gegensatz zu Fachkräften fehlt es uns nicht nur an Qualifikation, sondern auch an grundlegenden Arbeitsrechten. Unsere Einrichtungen dürfen uns zu bis zu 45, mit Überstunden 60 Stunden Arbeit pro Woche verpflichten. Im selben Zeitraum stehen uns nur 36 Stunden Ruhezeit am Stück zu, am Samstag bis 18:00 Uhr arbeiten und am Montag um 06:00 Uhr wieder anfangen ist also erlaubt. Wenn wir krank werden, müssen wir unserer Einrichtung die Art der Erkrankung melden, bei 24 Krankenstandstagen wird unser Zivildienst abgebrochen. In neun Monaten Dienstzeit haben wir gerade einmal zwei Wochen Urlaub. Dazu kommt eine eklatante Unterbezahlung - für unsere Vollzeit-Arbeit werden wir weit unter der Armutsgrenze entlohnt. Diese Arbeitsbedingungen haben im Jahr 2024 nichts mehr verloren.
Vonseiten der Politik wird uns keine Möglichkeit gegeben, an diesen Umständen etwas zu ändern. Studierende wählen die Österreichische Hochschülerschaft, Arbeitnehmer:innen die Arbeiterkammer – Zivildiener hingegen haben keine gesetzlich verankerte, zentrale Interessensvertretung. Wenn die Demokratie weltweit bedroht wird, muss man das Demokratiebewusstsein junger Menschen stärken und darf es nicht unterdrücken. Wer uns demokratische Rechte und Vertretungen verwehrt, hat zu verantworten, dass in Folge unser Vertrauen in die Demokratie sinkt. Dieser Zivildienst erfüllt seine demokratische Funktion nicht.
Wenn es um den Zivildienst geht, werden viel zu selten grundsätzliche Fragen gestellt oder diskutiert: Welches Ziel soll der Zivildienst erfüllen? Was soll der Zivildienst denjenigen, die ihn leisten, vermitteln? Und was macht das derzeitige Wehrpflicht-System eigentlich mit uns jungen Menschen? In seiner jetzigen Form führt der Zivildienst dazu, dass wir uns von der Gesellschaft geringgeschätzt und isoliert fühlen, nicht als Teil von ihr. Wir werden in eine negative Arbeitserfahrung gezwungen – ohne rechtliche Absicherung, ohne demokratische Instrumente und ohne das Gefühl, von politischen Verantwortungsträger:innen ernstgenommen zu werden.
In diesem Jahr steht die Nationalratswahl an, die die Möglichkeit eröffnet, endlich ernsthaft über den Zivildienst zu diskutieren. Wir fordern Sie als Vertreter:innen der Parteien zu einer klaren Positionierung und Darlegung ihrer Vorstellungen zum Zivildienst auf. 50 Jahre nach der Geburt des Zivildiensts ist es Zeit für eine Grundsatzreform. In Ihren Wahlprogrammen und dem nächsten Regierungsprogramm muss Platz dafür sein.
Bedeutend wird dabei die Schaffung einer zentralen, unabhängigen Zivildiener-Interessensvertretung sein. Solange diese nicht gesetzlich verankert ist, werden wir als Aktionsgruppe Zivildienst unsere Interessen vertreten. Wir setzen uns für mehr Rechte, faire Entlohnung und einen zeitgemäßen Zivildienst ein.
Für die Aktionsgruppe Zivildienst:
Mati Randow
Lorenz Moser
Philipp Schuhai
Julian Köppl
Thomas Gausterer
Matias Kuhs
Marcus Mott
Paul Grundner
Aleksander Klotz
Moritz Graf
Mahmoud Mahmoud
Yannic Lamprecht